Meditationen und Gebete verfasst von Schwester Minke auf Bitte von Papst Johannes Paul II für den Kreuzweg im Kolosseum in Rom am Karfreitag, 14. April 1995.
Aus der Einleitung:
Wir sind hierhergekommen, um miteinander Jesus auf seinem Weg der Liebe, auf seinem Kreuzweg zu folgen. Wir wollen ihm Schritt für Schritt auf seinem Leidensweg folgen, so wie er uns vom Evangelisten Markus beschrieben ist und dabei in Getsemani beginnen.
1. Station
JESUS AM ÖLBERG
Sie kamen zu einem Grundstück, das Getsemani heisst, und er sagte zu seinen Jüngern : „Setzt euch und wartet hier, während ich bete.“
Und er nahm Petrus, Jakobus und Johannes mit sich. Da ergriff ihn Furcht und Angst, und er sagte zu ihnen: „Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht!“
Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf die Erde nieder und betete, dass die Stunde, wenn möglich, an ihm vorübergehe. Er sprach: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen.“
Markus 14, 32-36
Nach dem Passamahl
mit deinen Jüngern,
nach dem ersten Heiligen Mahl,
gehst du, Jesus, mit ihnen
hinab ins Kidrontal,
wie schon so viele Male.
Dann steigt ihr den Ölberg hinauf.
Diesmal hältst du an
in Getsemani, an dem Ort,
der „Ölkelter“ genannt wird.
Deine Jünger haben Angst.
Wo ist sie geblieben, diese innige Gemeinschaft,
die sie mit dir lebten
im Abendmahlsaal,
wo du für sie, für ihre Einheit betetest?
Sie schlafen ein, unfähig zu handeln,
gelähmt von ihrer Traurigkeit.
Du, Jesus, weisst, dass heute Abend
deine Stunde gekommen ist,
diese Stunde,
die du so sehr herbeigesehnt hast und die dich nun
mit einer zutiefst menschlichen Furcht erfüllt.
Du willst Liebe leben – bis zum Ende.
Aber es überkommt dich eine unendliche Furcht
beim Gedanken, dem Bösen
hilflos ausgeliefert zu sein wie ein Lamm,
auf dem die Sünde der Welt schwer lastet.
Du bittest flehentlich:
„Abba, Vater, wenn du willst,
nimm diesen Kelch von mir.“
Aber dein Herz bleibt das eines Sohnes:
„Nicht was ich will,
sondern was du willst.
Dreimal flehst du, stehst auf.
Dein Ja mobilisiert dein ganzes menschliches Sein,
das nun eins sein wird mit dem Willen des Vaters
bis zum Ende.
Vater, durch deinen Heiligen Geist öffne unseren Willen für den deinen,
damit wir die Kraft haben,
mit Jesus zu wachen und zu beten im Kampf gegen das Böse.
Und damit wir durch die Teilnahme an seinem Leiden
die Kraft seiner Auferstehung erfahren.
Auszüge einer Ansprache von Geneviève Micheli an Pfarrfrauen des Kantons Waadt, 1938
(…) Wenn wir schweigen, geschehen grosse Dinge. Es scheint, als wurden nach und nach alle unnötigen Verkleidungen und Masken fallen und alle störenden Reichtümer und Entbehrungen abgelegt.
Und da merken wir erst, dass wir ständig die göttlichen Gesetze übertreten, die ganz natürlich und einfach, licht und wahr sind. Es sind die Gesetze der Natur unter Gottes weitem Himmel: das Gesetz des Samenkorns, das in der Erde ist und sich im Verborgenen entfaltet, der Frucht die wachst und reift – ohne Zutun des Menschen oder vielmehr nur, weil er gräbt, giesst und düngt, ohne Eile, ohne Hektik, im Einklang mit den Gesetzen der Natur, mit Geduld. (…)
Ich denke, dass die Begegnung mit Christus, als er auf der Erde war, die gleiche Weite und die gleiche Kraft hatte wie eine Stille, die ganz von Gott durchdrungen ist. Und heute ist es genauso. Er befreite den Menschen von seiner Erstarrung, seinen falschen Reichtümern, seiner Zerstreuung, die auch eine Form des Todes ist, und er zeugte von der Kraft Gottes. Es ist schön, ganz zu sterben, wenn er lebt. Wann werden wir uns dazu entschliessen zu sterben, um endlich zu leben? Der Tod ist Schweigen. Zwietracht, Stolz, Herrschsucht, Hass, Groll und persönliche Ansprüche müssen verstummen. Das Schweigen ist Läuterung.
Läuterung geschieht bereits, wo das Schweigen die Lippen verschliesst und dann, wenn es in die Zerrissenheit der Seele und in jene unzugänglichen Bereiche vordringt, wo Gott in uns wohnt.
Und schliesslich sieht man sich und sein Leben in einer Atmosphäre, die von den Menschen und den Dingen losgelöst ist, in der reinen und hellen Klarheit Gottes. Jesus nannte das „in der Wahrheit“.
Es ist das Schweigen der Zuneigungen und Antipathien, das Schweigen der Wünsche, wo sie zu heftig sind, das Schweigen des Eifers, wo er aufdringlich ist, das Schweigen der Leidenschaft, wo sie übertrieben ist. (…)
Das Schweigen der Gemeinschaft: die Stille ist eine tiefe Gnade, die uns in manchen Stunden geschenkt wird und die uns die vollkommene Liebe verstehen lasst. Wenn wir zu mehreren schweigen, bekommen wir voneinander ganz aussergewöhnliche Kräfte. Die Einheit geschieht auf einer übernatürlichen Ebene, die Seelen sind füreinander transparent und hell, weil sie im Lichte Gottes gesehen werden.
Wenn diese Stille in uns eingekehrt ist, dieses Schweigen von uns selbst, dann wird der grosse innere Einklang da sein, der die Stille Gottes ist. Das Schweigen der Seele, die ganz hinhört, die Erwartung der Offenbarung, des Auftrags und Erwartung der Liebe ist. Das ist die zugleich mächtige und sanfte Stille, die Stille der vollkommenen Liebe, die Elia hörte, die Stille, die Christus immer wieder suchte, wenn er auf den Berg stieg, um zu beten, die Stille, in die er mit Freude und Danksagung eintrat, wenn er sich mit Gott vereinte. (…)
Gott kann man sich nur in der Stille nähern, denn er ist so unendlich gross, dass wir uns vor ihm nur niederwerfen können: „Ich werde schweigen. Ich werde die Hand auf meinen Mund legen.“ Gott allein weiss. Er allein ist Richter und Schöpfer. (…)
Sein Geist, sein Wille, sein Leben müssen alles in uns sein. Das ist die Schöpfung des neuen Menschen.
Wenn man in der Stille mit Gott gelebt hat, wenn man von ihm die Taufe der Stille, das Sakrament der Stille, der Läuterung, der Demut, der Liebe, also die Schöpfung des neuen Menschen empfangen hat, dann kann man ohne Angst und Furcht ins Leben zurückkehren, denn die Stille Gottes ist in uns.
Dann können wir das Leben, das Gott uns abverlangt, mit lauterem, liebenden Herzen leben und akzeptieren, im Wissen, dass der Geist überall weht. Wir leben dann mit einem befreiten und gesammelten Herzen, zusammen mit unseren Brüdern und Schwestern, wer auch immer sie sind, nicht abseits, sondern mitten im Alltag mit seinem Lärm, mit seiner Unvollkommenheit, mit seiner Sunde und Unordnung. Da, wo Gott uns hingestellt hat, ist der Ort unserer Heiligkeit. Und da haben wir die Stille.
Wenn sie uns an einem Tag fehlt, dann deshalb, weil wir sie uns nicht genommen haben.
Alle Geräusche, die uns umgeben, machen weniger Lärm als wir selber.
Der wahre Lärm ist das Echo der Dinge in uns. (…)